In Hamburg eröffnete am 4. November 2016 der frei zugänglichen Teil der Elbphilharmonie. Das architektonische Wunderwerk von Herzog & de Meuron ist weit mehr als nur ein Konzerthaus – es ist aber auch ein gescheitertes Großprojekt aus Projektmanagementsicht.
Nach dem ersten Enthusiasmus regierte lange das blanke Chaos, die erträumte weisse Fregatte entschwand in ein schwarzes Loch. Die Kosten verzehnfachten sich von ursprünglich 77 Millionen Euro auf nun 789 Millionen Euro und die Eröffnung verzögerte sich um ein halbes Jahrzehnt. Der «reine Wahnsinn» sei es gewesen, erinnert sich Architekt Jacques Herzog. Sein Basler Büro, das er mit Pierre de Meuron führt, blickte zwischenzeitlich mindestens an den Rand des Abgrunds, der das ganze Projekt zu verschlingen drohte.
Doch nun, da der Wunderkristall auf rotem Sockel für das Publikum festlich eröffnet wurde und es nur noch zwei Monate dauert bis zum ersten Konzert, ist aller Ärger verflogen. Die Menschen drängen zu Tausenden zur Besichtigung ihrer «Elphi», sodass grosse Engpässe bevorstehen. Für das erste Konzert gingen 250’000 Anfragen ein, hundertmal mehr, als Plätze zur Verfügung stehen. Herzog und de Meuron strahlen, sprechen aber auch von «gewaltiger Erleichterung» und Architekturkenner überschlagen sich vor Begeisterung.
Übrigens, die Elbphilharmonie in Hamburg kostete nur das 10-fache wie geplant. Die Oper in Sydney kostete 15-Mal mehr als veranschlagt. Heute kräht kein Hahn mehr danach, und die Oper ist das bekannteste Gebäude der Südhalbkugel.
Der Abschlussbericht ist die präzise Analyse einer fatalen Ereigniskette
Mit seinem Abschlussbericht hat der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Elbphilharmonie seine Arbeit beendet. Auf 724 Seiten wird aufgelistet, wie es zu der Kostenexplosion und den Bauverzögerungen kommen konnte. Demnach sind unfertige Pläne, überforderte Politiker und ein Chaos auf der Baustelle schuld an dem Debakel.
Der Ausschuss hatte drei Jahre lang unzählige Aktenordner gewälzt und zahlreiche Zeugen befragt. Erstmals nennt der Bericht, der die Vorgänge bis Ende 2008 untersuchte, auch Namen der Verantwortlichen. Demnach wollten alle Beteiligten das Konzerthaus unbedingt bauen, ohne die wahren Zahlen zu präsentieren.
Mit der verfehlten Projektkonstruktion und der schlecht vorbereiteten und unvollständigen Planung sei die Elbphilharmonie zum Spielball des Generalunternehmers Hochtief und der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron geworden.
Die Kosten des Projekts für den Steuerzahler waren über die Jahre von ursprünglich 77 Millionen Euro auf nun 789 Millionen Euro gestiegen. Die Eröffnung wurde mehrfach von 2010 auf 2017 verschoben.
Die Elbphilharmonie ist eines von vielen gescheiterten Großprojekten
Die Elbphilharmonie in Hamburg ist ein Beispiel unter vielen Großprojekten, die oft nach dem gleichen Schema ablaufen: 1. Begeisterung beim Start (Grundsteinlegung mit Bundeskanzler) 2. Verwirrung (Planer, GU / Keine Projektdefinition) 3. Ernüchterung (Kostenexplosion) 4. Suche den Schuldigen (Architekt, GU) 5. Bestrafung der Unschuldigen (Subunternehmer) 6. Auszeichnung der Nichtbeteiligten (neu gewählter Stadtpräsident).
Das Projekt wurde von einem Nicht-Politiker (Alexander Gérard) erdacht und hätte gegen eine breite Mehrheit der Bevölkerung auch nicht gebaut werden können. Der Beschluss in der Bürgerschaft erfolgte einstimmig und auch von den Bürgern und in den Deputationen gab es praktisch keine Gegenstimme. Das Problem war die Dreiecksbeziehung ReGe, Hochtief und HdM. Die Politiker müssen sich dabei vorwerfen lassen, dass sie zu naiv waren und die Verträge mit Hochtief sehr “hanseatisch” (vertrauensbasiert) ausgestaltet waren. HdM wiederum war eher an den künstlerischen Aspekten interessiert als an der konkreten Bauplanung und Hochtief … war halt ein Baukonzern.
Erste Bauherrenpflicht ist zu wissen was man will! Bei so großen, komplexen Projekten ist das Projektmanagement nicht nebenher möglich und erledigt sich auch nicht von alleine. Projektleiter, die aus diesem schönen, aber gescheiterten Projekt etwas lernen wollen empfehle im Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Elbphilharmonie“ zu stöbern. Nach jedem Kapitel des Berichtes hat es ein Fazit, dass sich lohnt zu lesen. Ab Seite 260 lesen Sie einige interessante Aspekte zur Kostensteuerung:
Aus dem Fehlen jeglicher zur Kostensteuerung tauglicher Aufzeichnungen ist darauf zu schließen, dass es – wie eingangs dargestellt – keine organisierte Kostensteuerung im Rahmen eines Änderungsmanagements bei der ReGe gegeben hat …
Was aus meiner Sicht bei großen und teueren Projekten oft fehlt ist ein griffiges Projektcontrolling und eine unabhängige Überwachungsinstanz.
Endbericht der „Reformkommission Bau von Großprojekten”
Eine Reihe aktueller Bauprojekte mit erheblichen Kosten- und Terminüberschreitungen (z. B. Stuttgart 21, Flughafen BER, Elbphilharmonie Hamburg, Bundesnachrichtendienst, Schleuse Brunsbüttel, Hochmoselbrücke) warf die Frage auf, ob oder inwieweit es strukturelle Defizite bei Planung und Realisierung von Großprojekten in Deutschland gibt. Aus diesem Anlass hat das damalige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2013 die Reformkommission Bau von Großprojekten ins Leben gerufen.
Der Endbericht der „Reformkommission Bau von Großprojekten“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur hat zum Ziel, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, wie bei Großprojekten in Zukunft mehr Kostenwahrheit und Termintreue erreicht werden können. Bericht Download
Der sehr lesenswerte Bericht zeigt, dass die Fehlentwicklungen bei Großprojekten in Deutschland viele Ursachen haben. Dies sind typische Fehler, die immer wieder gemacht werden und mit gutem Projektmanagement und Projektcontrolling zum großen Teil vermieden werden können. Hier die Ursachen, die der Bericht beschreibt:
- Die Baukosten werden häufig bereits beziffert, bevor belastbare Planungen vorliegen. Die Schätzungen sind zum Teil politisch motiviert, vernachlässigen bestehende Risiken und liegen häufig deutlich unter den tatsächlich zu erwartenden Kosten.
- Eine ungenaue Ermittlung der Bauherrenwünsche sowie die unzureichende Berücksichtigung der Besonderheiten des Projekts bei Planungsbeginn führen zum Teil zu kostenträchtigen Änderungen von Planung und Bauausführung.
- Großprojekte werden nicht immer detailliert genug geplant. Eine unzureichende Kooperation der Beteiligten führt zu inkompatiblen Teilplanungen. Zudem wird mit Baumaßnahmen teilweise bereits begonnen, bevor die Planung abgeschlossen ist. Dies führt in der Regel ebenfalls zu kostenintensiven Korrekturen.
- Kein Projekt ist risikofrei. Trotzdem fehlt sowohl auf Seiten der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer oft ein frühzeitiges und kontinuierliches Risikomanagement mit Vorsorgemaßnahmen im Hinblick auf Handlungsalternativen, Zeit und Kostenrahmen. Selbst wenn Risiken betrachtet werden, finden sie in der Regel keinen Eingang in das im Haushalt veranschlagte Projektbudget. Der Eintritt von Risiken ist damit eine häufige Ursache für Kostensteigerungen und Terminüberschreitungen.
- Die Bauherrenkompetenz, aber auch die Managementkompetenz in Unternehmen, genügen nicht immer den Anforderungen eines Großprojekts. Darüber hinaus mangelt es den Organisationsstrukturen bei Auftraggebern und Auftragnehmern vielfach an einer klaren Festlegung von Verantwortlichkeiten, Entscheidungskompetenzen, Entscheidungswegen und -fristen.
- Ein regelmäßiges und unabhängiges Controlling sowie interne und externe Streitbeilegungsmechanismen sind oft nicht vorhanden. Es fehlt zudem an Transparenz von Projektstand, Kosten, Risiken und Terminen gegenüber der Öffentlichkeit.
- Ausschreibungen von Baumaßnahmen erfolgen teilweise auf Basis nicht abgeschlossener Planungen und sind daher anfällig für Nachträge. Bauaufträge werden häufig ausschließlich auf Basis des Angebotspreises vergeben. Der billigste Bieter ist aber nicht immer der wirtschaftlichste. Vielmehr bieten potenzielle Auftragnehmer teilweise unter Selbstkosten an, mit dem Ziel, Planungsdefizite und -änderungen für spätere Nachträge zur Kostendeckung zu nutzen. Dies führt zum Teil zu Qualitätseinbußen und begünstigt den Streit um Nachträge. Großprojekte sind damit häufig geprägt von Misstrauen und Streit statt von Kooperation und partnerschaftlichem Umgang miteinander.
Der Bericht geht detailliert auf diese Ursachen ein und macht 8 Handlungsempfehlungen. Jeder Projektleiter sollte diesen Bericht einmal gelesen haben und nicht nur Projektleiter für Bauprojekte.
Übrigens, nicht nur in Deutschland scheitern viele Großprojekte – dies ist in der Schweiz und auch in anderen Ländern so. Es werden leider immer wieder die gleichen Fehler gemacht. Es gibt aber auch einige sehr erfolgreiche Projekte und eines davon ist das Gotthard Basis-Tunnelprojekt, dass ein Jahr früher als geplant vollendet wurde und mit 12 Milliarden Schweizer Franken unmerklich mehr kostete als geplant.
Was sind Ihre Erfahrungen mit Großprojekten und wo sehen Sie die größten Probleme? Ich freue mich auf Ihren Kommentar.