Es ist nicht populär potentielle Fehlentwicklungen in Projekten kundzutun. Wer dies tut, wird leicht zum Störenfried erklärt und damit zum Aussenseiter. Er würde sich nur Ärger einhandeln und vermutlich von den Kollegen bald missachtet. Viel einfacher ist es deshalb, mit dem Strom zu schwimmen. Ist das Ergebnis dann schlecht, kann man sich ausserdem leicht in der Gruppe verstecken. Das kann auch oft bei Entscheidungen in Gruppen beobachtet werden. Diese haben häufig eine grundsätzlich einheitliche Meinung, auch wenn jede einzelne Person durchaus Zweifel an den getroffenen Entscheidungen hat. Um diesem Problem zu begegnen kann man sich einem Jahrhunderte lang bewährten Hilfsmittel bedienen, dem Advocatus Diaboli.
Mit dem lateinischen Ausdruck Advocatus Diaboli, zu deutsch Anwalt des Teufels, wird eine Person bezeichnet, die mit ihren Argumenten die Position der Gegenseite vertritt, ohne ihr selbst anzugehören. Das Stilmittel kann dazu verwendet werden, die Argumente der eigenen Position im Hinblick auf möglich Gegenargumente (des Advocatus Diaboli) zu schärfen. Der Advocatus Diaboli kann auch im Risikomanagement sehr hilfreich sein. Manche Projektleiter benennen deshalb einen „Advocatus Diaboli“, der bewusst „schwarzsieht“ und die Gefahren im Projekt zuspitzt.
Die Devil’s Advocacy-Technik stellt eine interessante Form von künstlicher Meinungsverschiedenheit (contrived dissent) dar. Sie dient dazu, der Voreingenommenheit bei Gruppenentscheidungsprozessen entgegenzuwirken und führt so oft zu fingierteren Entscheidungen.
Möglicher Ablauf bei einem Entscheidungsprozess:
- Die Gruppe diskutiert über das Entscheidungsproblem und schlägt die bevorzugte Alternative vor.
- Die Aufgabe des Devil’s Advocate ist es alle Nachteile dieser Alternative zu identifizieren. Er überprüft den Gruppenvorschlag hinsichtlich möglicher Fehler und falscher Annahmen.
- Der Devil’s Advocate stellt seine Kritik den anderen Gruppenmitgliedern vor.
- Die Gruppe analysiert gemeinsam zusätzliche Informationsberichte, die wichtig sein könnten für die finale Gruppenentscheidung.
- Auf Basis dieser Analysen wird eine finale Gruppenentscheidung getroffen.
Der Advocatus Diaboli hat sich über viele Jahrhunderte in der katholischen Kirche als erfolgreich erwiesen. Nur dank ihrer guten Institutionen hat sie trotz unmoralischen, unfähigen und sogar verbrecherischen Päpsten und Kardinälen überlebt. Dazu gehört das ausgeklügelte Verfahren bei Heiligsprechungen. In aller Regel werden ja Personen zu Heiligen vorgeschlagen, die hohe und breite Verehrung im Kirchenvolk geniessen. Die Befürworter haben deshalb eine sehr starke Position. Die Kirche weiss aber gleichzeitig, dass es sehr schädlich für sie wäre, wenn eine unwürdige Person heiliggesprochen würde. Wegen des typischen Übergewichtes der Befürworter ist deshalb eine systematische Opposition in Form des Advocatus Diaboli (eines Anwalts des Teufels) eingerichtet worden. Die entsprechende Person hat formell die Aufgabe, alle denkbaren und vernünftigen Gründe gegen die Heiligsprechung anzuführen. Die persönlichen Auffassungen des Advocatus sind irrelevant. Entsprechend können seine Argumente nicht missbilligt oder als für die gesamte Kirche schädlich hingestellt werden. Diese Regel einer institutionellen Vertretung unpopulärer Meinungen hat erstaunlich gut funktioniert.